Ich bin Feministin. Ich kann nicht sagen, seit wann das so ist. Ich glaube, ich hatte diese Überzeugung schon immer. Solange ich mich erinnere, kommt mir vor, war ich mir der Tatsache bewusst, dass es Sexismus gibt – und in meiner Umgebung schien er ausgeprägter als der Rassismus zu sein. Doch als in Frankreich 2003 die Diskussion über das Recht von muslimischen Schüler*innen entbrannte, in der Schule einen Hidschab zu tragen, war ich verblüfft. Denn ganz vorne in den Reihen der Befürworter eines Verbots standen Frauen*, die sich selbst als Feminist*innen bezeichneten. Sie setzten sich dafür ein, jungen Mädchen aufgrund ihrer Religion das Recht abzuerkennen, eine öffentliche Schule zu besuchen. Frauen*!
Mir sprang es ins Auge – man konnte Feminist*in sein und sich gleichzeitig explizit für die Aberkennung der Rechte anderer Frauen* einsetzen. Schließlich hatten mit derselben Überzeugung muslimische Jungen Zugang zum regulären Schulsystem.
Ohne es zu wissen, entdeckte ich die Intersektionalität. Ich verstand, dass nicht alle Muslime gleich behandelt wurden, sondern dass die Tatsache, dass man sichtbar eine muslimische Frau* ist, zu einer speziellen Behandlung führen konnte.
Manche Feminist*innen glauben, dass es nur einen Weg der Emanzipation gibt – den westlichen. Und dass es die Aufgabe von Feminist*innen ist, die muslimischen Frauen*, die ein Kopftuch tragen, ans Messer zu liefern. Egal, in welchem Kontext es getragen wird, immer gilt es als Zeichen der Unterdrückung. Als ob diese Frauen* keinen eigenen Willen hätten und in unserer Gesellschaft ein Kopftuch die einzige Geschlechtermarkierung wäre.
So verbieten bestimmte feministische Gruppierungen verschleierten, als „unwürdig“ betrachtete Frauen* in den Jahren nach den Demonstrationen für Frauenrechte, an ihrer Seite zu marschieren, schließen sie gewaltsam von Protesten aus, was einem Entzug ihres Rechtes auf freie Meinungsäußerung gleichkommt – und das nur, weil ihre Kleidung nicht der feministisch-paternalistischen Doktrin entspricht. „Mein Körper gehört mir“ sagten die Feminist*innen in den 70ern doch … Jene Feminist*innen, die sich als „Universalist*innen“ bezeichnen, während sie größtenteils weiß sind, wollen nicht sehen, dass sie nur einen Teilaspekt verteidigen, und zwar den, der die stärkste Gruppe betrifft.
Ich habe das verstanden, als ich die Arbeit von Kimberlé Crenshaw entdeckte. Ich hatte jetzt Worte für eine geheime Überzeugung: Wenn sich verschiedene Unterdrückungssituationen überlagern, werden Frauen* unsichtbar gemacht. Frauen*, die von anderen dominierenden Frauen* zurechtgewiesen werden. Frauen*, deren spezifische Situation nur selten berücksichtigt wird. Frauen*, zu denen ich gehöre – als Schwarze.
Einige Jahre später, 2009, wurde ich durch einen „Aufruf zur Mobilisierung für die Frauenrechte“ aufgeschreckt, dessen Urheber das Nationale Kollektiv für Frauenrechte von solidarischen Frauen* (Collectif national pour les droits des femmes et de Femmes Solidaires) war. Er rief zu einer Demonstration am 17. Oktober auf. Abgesehen von der unglücklichen Datumswahl, die ein für eingewanderte Kinder wichtiges historisches Ereignis außer Acht ließ – nämlich das Gedenken an den Tod hunderterAlgerier und Algerierinnen, getötet von der französischen Polizei (17. Oktober 1961) –, ging es im Text um „die Gefahr, dass der Kampf für die Gleichheit von Männern und Frauen* aufgrund des Kampfes gegen Diskriminierung und für Diversität in den Hintergrund gerät“.
Wieder fiel mir auf: Ein solcher Vorschlag konnte nur von einer Gruppe weißer Frauen* kommen. Nur dann lässt sich ignorieren, dass man gleichzeitig von Ungleichheit, von sexualisierter Gewalt und von Rassismus betroffen sein kann. Mir persönlich wäre es unmöglich, die Ausweitung des Kampfes gegen Rassismus zu beklagen oder der Meinung zu sein, der Kampf für Frauenrechte müsse allen anderen Kämpfen vorangestellt werden. Mir wurde klar, dass die Grundlage für die feministische Bewegung in Frankreich die Intersektionalität sein musste, denn nur sie berücksichtigt alle Kämpfe gleichzeitig und gleichberechtigt. Doch aufgrund ihrer eher homogenen Zusammensetzung tendieren die feministischen Bewegungen in Frankreich eher dazu, Forderungen zu formulieren, welche die Perspektive nicht-weißer, ausländischer, armer, transsexueller, lesbischer Frauen* und von Frauen* mit Behinderung vernachlässigen.
Diese Bewegungen neigen also dazu, einen Teil der Bevölkerung zu ignorieren.
Sexismus existiert neben anderen Formen der Ausgrenzung: dem Rassismus, der Homophobie, der Behindertenfeindlichkeit, der Transphobie, dem Klassendenken und vielen anderen. Wie kann man als Feminist*in nicht sehen, dass das Zusammenwirken von zwei, drei oder vier Formen der Ausgrenzung neue Effekte hervorbringt?
Oftmals hört man von Feminist*innen die Erklärung, dass Frauen* im Gegensatz zu ethnischen oder religiösen Minderheiten, keine Minderheit sind, immerhin stellten sie die Hälfte der Bevölkerung. Dieser Aussage liegt die Idee zugrunde, dass Frauen* im Vergleich zu weniger stark vertretenen Gruppen bevorzugt behandelt werden sollten. Dies wäre richtig, wenn diese Gruppen voneinander abgegrenzt und absolut in sich abgeschlossen wären. Es gibt jedoch nicht-weiße, homosexuelle, arme Frauen* sowie Frauen* mit Behinderung. Sollen diese Frauen* entscheiden, welcher Aspekt ihrer Identität nun prioritär behandelt werden sollte und welcher in den Hintergrund rücken kann, da es ja um ein Minderheitenproblem geht? Nein, auf keinen Fall. Und ich danke Kimberlé Crenshaw dafür, dass sie diese unberücksichtigten Zusammenhänge in Worte gefasst hat.